Tarifierungsbestimmungen im ElWOG 2010 und im GWG 2011 unionsrechtswidrig?
Eine interessante Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes stellt die Tarifierungsbestimmungen betreffend Netzbetreiber des ElWOG 2010 und des GWG 2011 grundlegend in Frage:
Mit einem Urteil vom 02.09.2021 (Rechtssache C-718/18) hat der EuGH eine Vertragsverletzung der Bundesrepublik Deutschland aufgrund eines Verstoßes gegen die Elektrizitäts- und Erdgasbinnenmarktrichtlinie 2009/72/EG und 2009/73/EG festgestellt. Dieser Entscheidung lag unter anderem eine Rüge der Europäischen Kommission zugrunde, dass diverse, per unionsrechtlicher Richtlinie der nationalen deutschen Regulierungsbehörde eingeräumte Zuständigkeiten dadurch verletzt würden, dass das deutsche EnWG (das Pendant zum österreichischen ElWOG 2010) der deutschen Bundesregierung die Möglichkeit einräume, mittels Rechtsverordnungen detaillierte Anweisungen an die Regulierungsbehörde zu geben, wie sie ihre Regulierungsaufgaben wahrzunehmen habe. Der EuGH sieht darin einen Verstoß gegen Art 37 Abs 1 lit a und Abs 6 lit a und b der RL 2009/72 sowie Art 41 Abs 1 lit a und Abs 6 lit a und b der RL 2009/73 die jeweils der nationalen Regulierungsbehörde entsprechende Aufgaben zur Festlegung von Fernleitungs- oder Verteilungstarifen (bzw. entsprechende Methoden) übertragen.
Nachdem die Bundesrepublik Deutschland im Verfahren vorgebracht hatte, dass die in Rede stehenden Richtlinien keine hinreichend genauen materiellen Vorgaben zur Ausgestaltung zur Netzzugangs- und Tarifierungsmethoden enthielten, hat sich der EuGH mit der Frage auseinandergesetzt, ob dies tatsächlich der Fall sei: Schließlich wurde festgestellt, dass hier ein derart detaillierter normativer Rahmen auf Unionsebene besteht, sodass es nicht erforderlich sei, für die Umsetzung der RL 2009/72 und 2009/73 Kriterien für die Berechnung der Tarife auf nationaler Ebene aufzustellen (vgl. Rz 123 des Urteils).
Nun ist es in Österreich so, dass sowohl §§ 48 ff ElWOG 2010 als auch §§ 69 ff GWG 2011 detaillierte Vorgaben für die Tarifsetzung durch die Regierungsbehörde Energie-Control Austria machen. Auf verfassungsrechtlicher Ebene hat der VfGH in diesem Zusammenhang auch wiederholt festgehalten, dass dies geboten sei: Verwiesen wird etwa auf die VfGH Entscheidung VfSlg 19.422/2011, in der der VfGH – ähnlich wie in der Entscheidung VfSlg 15.888/2000 – festgehalten hat, dass aufgrund Verstoßes einzelner (zu unbestimmter) Bestimmungen des ElWOG gegen das Legalitätsprinzips der österreichischen Bundesverfassung (Art 18 B-VG) und des dort geregelten Determinierungsgebots aufgehoben hat. Schließlich ist Art 18 B-VG das Erfordernis abzuleiten, dass der Gesetzgeber der Regulierungsbehörde gewisse Grundentscheidungen vorgeben muss, wenn für einen Regelungsgegenstand der Sache nach gänzlich verschiedene Regelungsmodelle in Frage kommen.
Dieses Grundprinzip der Systemnutzungstarifierung in Österreich, wonach die Regierungsbehörde bei der Tarifbestimmung von Strom- und Gasnetzbetreibern den einschlägigen gesetzlichen Vorgaben des ElWOG 2010 und des GWG 2011 zu folgen hat, wird nun durch die gegenständliche Entscheidung des EuGHs in Frage gestellt: So steht im Raum, dass die einschlägigen Bestimmungen der Gesetze hier unionsrechtswidrig und damit unanwendbar sind, da bereits die Richtlinienbestimmungen ausreichend sind. Demgegenüber besteht in Österreich allerdings eine doppelte Bindung österreichischer Gesetze, und zwar sowohl an das Unionsrechts als auch an das österreichische Verfassungsrecht und den Legalitätsmaßstab des Art 18 B-VG.
Trotzdem stellt sich die Frage, ob nicht eine unionsrechtliche Auslegung gegenständlich tatsächlich dazu führen muss, dass die Regulierungsbehörde Energie-Control Austria die gesetzlichen Vorgaben des ElWOG 2010 und des GWG 2011 betreffend Verteilernetztarife und Übertragungsnetztarife außer Acht lassen müssen: Folgt man nämlich der EuGH Entscheidung C- 718/18, so ist den unionsrechtlichen Richtlinien ohnedies in ausreichender Weise zu entnehmen, wie die Systemnutzungstarife zu bestimmen sind.
Schließlich seien die Tarife und ihre Berechnungsmethoden unter anderem unter Berücksichtigung der Notwendigkeit zu bestimmen, dass die notwendigen Investitionen in die Netze so vorgenommen werden können, dass die Lebensfähigkeit der Netze gewährleistet ist. Tarife und Berechnungsmethoden müssen angemessen sein und in nicht diskriminierender Weise angewandt werden. Ausgleichsleistungen müssen möglichst wirtschaftlich sein und den Netzbenutzern geeignete Anreize bieten, die Einspeisung und Abnahme von Elektrizität bzw. Gas auszugleichen, sowie auf faire und nicht diskriminierende Weise erbracht und auf objektive Kriterien gestützt werden. Weiter sei sicherzustellen, dass für die Übertragungs- und Verteilernetzbetreiber angemessene Anreize geschaffen werden, sowohl kurzfristig als auch langfristig die Effizienz zu steigern, und ua die Marktintegration und die Versorgungssicherheit zu fördern.
Es ist davon auszugehen, dass die genannte Entscheidung jedenfalls zu umfassenden Diskussionen führen wird. Eine von Netzbetreibern zu Recht geforderte Planungssicherheit besteht wohl nur dann, wenn es über die unionsrechtlichen Richtlinienbestimmungen hinausgehende nationale gesetzliche Grundlagen gibt, an die sich die E-Control Austria bei der Festsetzung der Tarifierung zu halten hat. Ob dies angesichts dieser Entscheidung des EuGH möglich ist, ist fraglich.
Die Energie-Control Austria hat derzeit Begutachtungsentwürfe für Novellen zur Systemnutzungsentgelte-Verordnung 2018 (Strom) sowie der Gas-Systemnutzungsentgelte-Verordnung 2013 in Konsultation geschickt, die bis 24.09.2021 läuft. Ob im Rahmen dessen bereits seitens der Behörde auf die EuGH Entscheidung reagiert wird, darf mit Spannung erwartet werden.
Dr. Paul Oberndorfer